Packrafter in den Wellen des Bayerischen Waldes
Bayerischer Wald

Frühjahrstour im BayerWald: Multiday für Hartgesottene

Zum Glück ist es nur Graupel. Graupel ist fast trocken und gute Laune mit das beste Bollwerk gegenüber einer rauen Witterung. Nach über zwei Wochen ununterbrochener Märzsonne, vermittelt uns Bayerisch Kanada im April 2022 eher das Gefühl von Bayerisch Sibirien. Aber uns ruft die perfekte Welle und ein ordentliches Packraft-Abenteuer.

Wie Hunsrück, nur härter. Die Bayerwaldtour ist sportlich und bietet ein anspruchsvolles Kontrastprogramm. Die Wahrscheinlichkeit, hier Anfang April mit allen Wettern gewaschen zu werden, ist groß, die weiche Couch zu Hause weit weg und die Etappen haben es durchaus in sich. Wer das mit Packraft auf sich nimmt, spielt gerne mit seiner Komfortgrenze. Die Höhenzüge des Bayerischen Waldes tragen im Frühjahr noch ihr Winterkleid. Über 900 Metern liegt Schnee.

„Wer das mit Packraft auf sich nimmt, spielt gerne mit seiner Komfortgrenze.“

LWA Ansprechpartnerin Naturschutz, Susanne Blech © Land Water AdventuresEin Beitrag von Susanne Blech


Susanne ist bei Land Water Adventures Guide für Wildwasser und Expeditionsstil, Tourentwicklerin für außergewöhnliche Locations, Ansprechpartnerin für Naturschutz, Expertin für Umwelt und Wildnis, sympathisches, wandelndes Naturlexikon und steigt nicht ohne Kaffee aus dem Zelt.


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Aber genau dann gibt es ihn. Den perfekten Pegel. Den perfekten Pegel für wunderbar unverbautes Wildwasser I-III. Ein echtes bayerisches Schmankerl, das Paddlerherzen höherschlagen lässt und das wir uns genüsslich auf mehrere Tage aufteilen. Nach ausgiebigen Regenfällen oder zur Schneeschmelze schwingen sich Wellen über die Verblockungen im naturbelassenen Bachbett. Für wenige Tage im Jahr entsteht ein paddelbarer Mittelgebirgsbach, so ursprünglich, wie es sie nur selten in Deutschland gibt. Ein landschaftliches Kleinod an der Grenze zu einem der größten Waldgebiete Mitteleuropas: Den benachbarten Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava.

Ein Einstieg in wechselhafte Bedingungen

Auch 2022 hat sich für unsere Multiday Advanced Bayerwaldtour eine ausgesprochen fitte und gesellige Truppe zusammengefunden. Nach dem gemeinsamen Anpaddeln am Ankunftstag dauert es nicht lange und das Lagerfeuer knistert munter vor sich hin. Wer sich noch nicht kennt, wird sich schnell sympathisch. Die Legende vom letzten europäischen Riesenzäpfchen wird geboren, die uns auch noch die folgenden Tage mit herzhaften Lachern bereichern wird. Und gute Laune brauchen wir an einem Wochenende, das so manch rauen Aprilscherz für uns bereithalten wird. Die Sonne scheint bereits kräftig, aber das Hoch im Südwesten ist noch zu schwachbrüstig, um das hartnäckig nordöstlich von uns hängende Tief wegzuschieben. Wir stecken genau zwischen den Wetterlagen und damit im allerbesten Aprilwetter. Die verlockend hohe Sonnenscheindauer für den letzten Tag verkürzt sich zum Tourstart auch beim optimistischen Wetterbericht auf null. Für Freitagabend hält sich hingegen ausgeprägter Niederschlag. Immerhin dürfen wir uns auf einen stabilen Pegel freuen. Alles hat zwei Seiten.

Bei überraschend gutem Wetter starten wir die Tour auch in diesem Jahr im Schnee. Mit bestem Fernblick auf die umliegenden Gipfel machen wir uns auf den Weg ins deutsch-tschechische Grenzgebiet. Hier hat unser Quellfluss seinen Ursprung. Feinsäuberlich abgenagte Essstäbchen liegen am Einstieg im Bachbett und am Ufer trägt mehr als ein Baum eine vielsagende Taille. Wir befinden uns in Biber-County. Auch der Fischotter lebt hier und platziert seine Hinterlassenschaften auf den Brücken. Noch nicht entdeckt haben wir Wolfsspuren, obwohl es immer wahrscheinlicher wird, dass wir ihre Wege kreuzen. Das grenzüberschreitende Waldgebiet der Nationalparke beheimatet inzwischen fünf Rudel.

Die ersten Wellen eines kaum planbaren Wildflusses

In der Mittagspause zieht der Himmel zu und wir zücken rasch die Paddel. Es ist soweit! Vor uns liegen neun Prozent Gefälle und eine herrliche Flusslandschaft. Ein beschwingt mäandrierender Lauf wartet zunächst mit verwunschenen Wiesenschleifen, dann mit ausgedehnten Schwällen, Spielstellen und kniffligen Fahrlinien auf. Es liegen zum Glück nicht mehr ganz so viele Bäume quer, wie noch 2019, nach dem heftigen Wintersturm, aber eine herausfordernde Baum-Stein-Kombination löst dann doch noch kurz vor dem Ausstieg eine Karambolage aus. Es sind Situationen wie diese, die eine intensive Vorarbeit und Ortskenntnis nötig machen. Bäume können unvermutet quer liegen, der Pegel kann zu niedrig sein oder plötzlich den Schmelzwasser-Peak erreichen. Wir sind auf einem Wildfluss unterwegs, der kaum planbar ist. Planbar ist hingegen die heiße Dusche am Abend, die nur einen Katzensprung vom Ufer entfernt wartet. An diesem Abend bleibt es beim Versuch das Zelt nach schwäbischer Methode „auf der Wanne“ aufzustellen, also hoch, trocken und sonnig. Heute gibt es nur nass und nicht ganz so nass. Bindfäden ziehen sich aus schweren, dunkelgrauen Wolken und wir flüchten vor dem anhaltenden Niederschlag in das Restaurant, das vor kurzem in dem kleinen Ort eröffnet hat. Bis zum „Rauswurf“ wärmen wir uns, statt am Lagerfeuer, an Flädlesuppe, Kaiserschmarrn und dem letzten Glühwein des Winters.

Raus aus den warmen Federn und rein in den Trocki! Was über Nacht getrocknet ist, bleibt trocken. Aber der Regen ist einer durchdringenden Kälte gewichen. Selbst eine Runde Frühsport vermag sie nicht so recht aus den Knochen zu vertreiben. Vereinzelt taumeln Schneeflocken aus den tiefhängenden Wolken. So früh am Morgen ist das einer jener Momente auf Tour, in denen man sich den Grund vor Augen führt, warum man sich solchen Widrigkeiten freiwillig aussetzt. Drei Jahre zuvor war es ebenfalls kalt, aber zumindest sonnig. Ein Himmelweiter Unterschied für die Moral. Jetzt hilft nur, tief in seinen persönlichen Erfahrungsfundus greifen zu können. Um so größer ist mein Respekt, dass alle, ohne große Worte, die Zähne zusammenbeißen und aufs Wasser gehen. Multiday Advanced eben.

„Der regenschwangere Pegel schleust uns durch wunderbar spritzige Schwälle, lockt uns mit Nachdruck mal in das eine, mal in das andere Kehrwasser, bannt rauschend unsere Gedanken. Da sind nur der Fluss und wir.“

Nach den ersten Flussmetern ist uns die Kälte ins Gesicht geschrieben. Die Nasenspitzen sind gerötet, das Lächeln eingefroren und die Finger klamm. Aber der regenschwangere Pegel schleust uns durch wunderbar spritzige Schwälle, lockt uns mit Nachdruck mal in das eine, mal in das andere Kehrwasser, bannt rauschend unsere Gedanken. Da sind nur der Fluss und wir. Und es gibt nur eine Aufgabe: die beste Linie zu finden. Und die gibt es, wieder und wieder, hinter jeder neuen Flussbiegung. Ein Paddelschlag hier, ein Paddelschlag dort und wir steuern uns durch den abwechslungsreichen Flusslauf. Warm wird es zwischendurch, wenn es heißt „Baum quer – raus aus dem Wasser!“. Dann wird das Packraft für den ein oder anderen Landmeter geschultert und die Füße bewegt. Ein paar leichtere Schwälle und eine Panoramastrecke später erreichen wir den Höhepunkt unserer zweiten Paddeletappe.

Der Fluss windet sich hier durch eine schmal eingeschnittene Passage. Dank des Niederschlags vom Vorabend ist richtig Wumms drin. Das macht Eindruck. Auf circa 300 Metern wird feinstes, verblocktes Wildwasser II-III geboten. Entlang der Strecke verläuft ein Trail und erlaubt es, die einzelnen Stellen in Ruhe anzuschauen oder zu umtragen. Ob gefahren wird, kann jeder selbst entscheiden. Der gute Pegel hat weitere Paddler angelockt. Wir fachsimpeln über die beste Linie, setzen dann unterhalb einer Walze ein und fahren zwei Flusswindungen einzeln. Fotogen versinken die Packrafts zwischen den weiß gischtenden Wellen. Das gute Gefühl aus Konzentriertheit, der Fähigkeit den Fluss zu lesen und der Freude über die bewältigte Herausforderung steht allen ins Gesicht geschrieben. Unerwartet reißt der Himmel auf und taucht unsere Fotosession für einen Moment in bestes Licht.

„Wo eben noch Sonnenschein unsere Paddelschläge begleitet hat, trommelt beim Umbau Graupel auf uns und die verstreut liegenden Ausrüstungsgegenstände nieder.“

Wo eben noch Sonnenschein unsere Paddelschläge begleitet hat, trommelt beim Umbau Graupel auf uns und die verstreut liegenden Ausrüstungsgegenstände nieder. Angefüllt von bereichernden Paddeleindrücken stört uns trockener Regen aber herzlich wenig. Die Stimmung ist gelöst und die Vorfreude auf das abendliche Lagerfeuer wächst.

Auf der Wanderung zu unserem Übernachtungsplatz, erwischt uns ein frühlingshaftes Wechselbad. Mal streifen uns dichte Vorhänge aus Graupelschauern, mal baden wir im Sonnenlicht. Der Wald duftet und die kleinen Waldwege federn unseren Schritt. Wo sich das Tal an den Berg schmiegt und der Wald die Wiese küsst, schlagen wir, geschützt zwischen Bäumen, unsere Zelte auf. Bald spendet ein großes Lagerfeuer wohlige Wärme. Der Wind legt sich und der gemeinsame Abend mit unseren befreundeten Gastgebern wird gesellig.

Leise rieselte der Schnee

Eine ungewöhnlich gedämpfte Stille empfängt uns an unserem letzten Tourmorgen. Wir sind eingeschneit! Über Nacht hat sich lautlos eine Decke aus Schnee über die Landschaft und unsere Zelte gelegt. Willkommen im Winterwonderland! Bei einigen Grad unter null klopfen wir den Schnee von unseren Zeltwänden. From Snow to Flow to Snow. Wir setzen in diesem Jahr also noch eins drauf. „From Snow to Flow“ ist der stimmungsvolle Videobeitrag, der bei unserer Erstdurchführung entstand. Nach der Freude über den überraschend weißen Start in den Tag, motivieren uns die frostigen Temperaturen zu einem zügigen Abmarsch. Die Sonne bleibt fahl über den Wolken. Der gemütliche Anstieg über die freien Felder, erhält eine sportlich stramme Note. Wenn es kalt ist, ist es angenehmer in Bewegung zu bleiben.

Wir überqueren die Flanke eines bewaldeten Bergrückens und steigen zu unser letzten Paddeletappe ins benachbarte Tal ab. Die naturbelassene Flusslandschaft, die hier auf uns wartet, wird liebevoll Bayerisch Kanada genannt. Am Ufer angelangt entsteht unmittelbar der Eindruck von Abgeschiedenheit. Ungebändigt zieht der Fluss seine Schleifen. Um uns herum nur Wald und vereinzelte Bauernhöfe. Im Wasser liegen knapp überspülte, große Felsblöcke. Auf einem mehrere Kilometer langen Abschnitt gilt bis auf wenige Zustiege Uferbetretungsverbot. Ein Paradies für Fische, Eisvögel und Flussuferläufer. Und natürlich uns. Für den Umbau aufs Packraft hat sich der April noch einen letzten Wetterscherz aufgehoben. Schräg peitscht uns plötzlich eisiger Wind Graupelkörner entgegen und stellt die Moral der Gruppe noch einmal so richtig auf die Probe. Das ist kein Wechselbad mehr, das ist eine harsche Kneippkur jenseits der Wohlfühlgrenze!

Allen Widrigkeiten zum Trotz wird die Szenerie nur mit einem Schulterzucken quittiert, in aller Ruhe umgebaut und leckere Schmalzbrote geteilt. An der positiven Grundstimmung der Truppe ist nicht mehr zu rütteln. Mit einer wunderbar spritzigen Waldschlucht, die das wilde Paddlerherz noch einmal höherschlagen lässt, beenden wir unsere Bayerwaldtour. Sie hat sich wieder einmal als eine Tour für Hartgesottene entpuppt. Aber von der perfekten Welle über stimmungsvolle Landschaften und eine tolle Gemeinschaft war alles dabei, was es für ein Packrafting-Abenteuer braucht.

Wir freuen uns schon auf nächstes Jahr!

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